Holen statt bringen

LOGISTIK / In Dortmund steht der erste Lagerturm für Frischwaren. Ein Modell, das künftig Verkehr ersparen könnte.

DORTMUND. Eines steht für Markus Gröblinghoff fest: Der Einkauf übers Internet, auch bei Frischwaren, "wird kommen", sagt der Geschäftsführer von Konze-Home-Sevice in Dortmund, einem der wenigen Lebensmittel-Lieferanten in Deutschland, bei denen man per Internet aus einem Vollsortiment auswählen kann. Die Frage sei nur, "ob die Zeit und die Kunden schon reif sind für so eine intelligente Idee".

Was Gröblinghoff damit meint, ist vier Meter dick und zehn Meter hoch und fasst 200 Standardbehälter, in denen zwei Kisten Sekt oder Wein Platz haben. Rund 750 000 Euro teuer war der erste "Tower24", ein Lagerturm für Waren, die übers Internet bestellt wurden und rund um die Uhr in dem tonnenförmigen Depot abgeholt werden können. Der Turm steht auf dem Gelände des Dortmunder Technologiezentrums und ist seit diesem Freitag in Betrieb.

Wegweisend an dem System ist, dass auch kühlungsbedürftige Frischwaren dort zwischengelagert werden können. Der Turm ragt vier Meter tief in die Erde. "Wie ein Keller nutzt er die Isolation durch das umgebende Erdreich", sagt Anke Jaspers vom Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML) in Dortmund, das den Tower24 entwickelt und auf der Cebit in Hannover präsentiert hat. Egal also, ob der Kunde per Mausklick frische Eier oder Butter, Bücher oder eine CD bestellt hat - abholen kann er alles am Turm, sobald ihn eine E-Mail oder eine SMS-Botschaft auf sein Handy unterrichtet hat, dass die bestellte Ware eingetroffen ist. Bezahlen kann der Abholer Ware und Zustellgebühr entweder mit EC-Karte direkt am Turm oder per Rechnung. Bislang noch zum allgemein üblichen Versandtarif versichert der Betreiber, die SSI Schäfer Noell GmbH aus Bayern.

Die Idee hinter dem Projekt leuchtet schnell ein: Selbst wenn der Postmann mit dem ersehnten Päckchen in der Hand zweimal klingelt, macht oft keiner auf. Alleinstehende sind tagsüber im Büro, bei vielen Paaren arbeiten beide und dann kommt noch Pech hinzu, weil man gerade mal im Keller ist und das Schellen nicht hört. "Jeder, der schon mal ein Paket bestellt hat, hasst nichts mehr als das", sagt Thomas Bone vom IML. "Vor allem, wenn man dann am Freitag Nachmittag eine Abholkarte für eine Warensendung im Briefkasten findet, die man samstags dringend als Geschenk gebraucht hätte". Auch deshalb hat das IML den Lagerturm erfunden, den die Betreiberfirma als das "clevere Warendepot für alle, die gerne unabhängig sind" bezeichnet.

Solche Abhol-Systeme liegen im Trend, denn der Online-Handel nimmt rapide zu. Über 32 Milliarden Euro wurden damit zuletzt EU-weit umgesetzt. Entsprechend schwillt der Zustellverkehr an: Im Jahr 2002 wurden in Deutschland über 1,5 Milliarden Standard- und Expresspakete ausgeliefert. "Die Innenstädte sind jetzt schon verstopft", sagt Thomas Bone.

Künftig werde der Lieferverkehr deutlich zunehmen, weil gerade der Internethandel die Warensendungen "atomisiere", also immer kleinteiliger werden lasse. Schon wegen einer CD legen Lieferwagen Kilometer zurück. Die Kosten für die so genannte "letzte Meile" zwischen Warenverteiler und Kunde mache über die Hälfte der gesamten Ausgaben fürs Handling der gelieferten Ware aus. Für die Lieferanten bedeute der Lagerturm deshalb einen beträchtlichen Vorteil: "Wenn sie von Haus zu Haus fahren, kostet das viel mehr Zeit, als wenn sie hier 30 oder 40 Pakete auf einmal einlagern", sagt Anke Jaspers vom IML. Obendrein vermeide der Turm Verkehr, sofern er an geschickt ausgewählten Plätzen postiert wird - etwa an Ausfallstraßen, Verkehrsknotenpunkten oder dort, wo viele Menschen arbeiten.

Grundsätzlich wohlwollend steht der Deutsche Städtetag in Berlin dem Tower24 gegenüber. "Der stark wachsende innerstädtische Zustellverkehr ist umweltschädlich und belastet zunehmend auch die Bewohner der Innenstädte", sagt Oliver Mietzsch, Verkehrsreferent beim Städtetag. Bloß dürfe durch Projekte wie Tower24 "nicht mehr Verkehr entstehen als vermieden wird".

Auch der Verkehrsexperte Heiner Monheim, Professor für angewandte Geografie an der Universität Trier, hält große Lagertürme nur dann für sinnvoll, wenn sie in der Nähe vieler potenzieller Nutzer aufgebaut würden - wie in Dortmund auf dem Technologiepark, wo rund 8000 Menschen arbeiten, die sich noch dazu von Berufs wegen viel im Internet tummeln. Ansonsten laute die Maxime für Abholsysteme: "So dezentral wie möglich". Nur so lasse sich Verkehr vermeiden. Alternativen zum Tower 24 seien kleinere, auch kühlbare Abholcontainer "an der nächsten Straßenecke", die sich bei Neubaugebieten gleich mitplanen ließen.

Das Dortmunder Fraunhofer-Institut sieht sich mit seiner Idee "ganz klar nicht im Wettbewerb" mit alternativen Projekten wie den in Frankfurt, Mainz und Dortmund viel versprechend erprobten Packstationen der Deutschen Post, betont Thomas Bone. Doch der Tower24 halte auch Kühlfächer bereit und sei für deutlich größere Umschlagmengen ausgelegt. Allerdings seien dort, wo weniger Lagerfächer ausreichten, auch kleinere Modelle des Tower24 denkbar.

"Große Chancen" sieht Bone für den Turm auch als Ersatzteil-Zwischenlager für Außendienst-Techniker, die ihren Vorrat dort immer wieder auffüllen könnten. Die ausliefernden Firmen hätten so eine viel genauere Kontrolle als bisher darüber, welcher Kundendienst-Mitarbeiter sich mit welchen und wie vielen Ersatzteilen frisch eingedeckt hat. Interesse an dem Projekt sei bereits aus Städten wie Paris, London und Los Angeles geäußert worden. "Daran sehen wir, dass wir den Finger in die richtige Wunde gelegt haben", freut sich Bone. Wenn die Dortmunder Testkäufer am Ende der noch ungewissen Probezeit ein positives Urteil fällen, könnte der Lagerturm in Serie gehen. (NRZ)

Quelle: NRZ vom 18.03.2003


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