Über dem öffentlichen Verkehrsmarkt in Europa liegt der Schatten von DB und SNCF

(Übersetzt aus dem Niederländischen)

Die großen privaten Verkehrsbetreiber in Europa erweitern ihren Markteinfluss vor allem durch Übernahmen. Beabsichtigen sie in einem anderen Land eine Konzession zu gewinnen, müssen sie zuerst einen Betreiber aufkaufen, der bereits über einen Vertrag verfügt. Durch die langsame Liberalisierung bleibt der europäische Markt vorläufig noch zersplittert.

„Vor zehn Jahren sagte ich, dass heute noch zwanzig große Transportunternehmen in Europa übrig bleiben würden. Nun denke ich, dass wir auch in zehn Jahren noch nicht so weit sein werden.“ Als er noch Direktor von VSN (dem Vorgänger von Conexxion) war, erwartete der Generalsekretär der UITP, Hans Rat, dass der europäische Markt in hohem Tempo unter wenigen Wettbewerber aufgeteilt werden würde. Nun ist er nicht mehr davon überzeugt, vor allem weil die europäische Gesetzgebung zur Liberalisierung der Verkehrsmärkte im Moment viel langsamer vorankommt als geplant.

Internationale Akteure im öffentlichen Verkehrsmarkt gibt es mittlerweile genügend. Eine Anzahl französischer und britischer Betreiber, namentlich Veolia und Arriva, sind in annähernd ganz Europa aktiv, u.a. in den Niederlanden. Für niederländische Verhältnisse sind beide Unternehmen, mit einem Umsatz von 4 bzw. 2,5 Milliarden Euro, groß. Aber groß ist ein relativer Begriff. First Group, ebenfalls mit einem Umsatz von 4 Milliarden Euro, ist das zuerst gelistete europäische Personenverkehrsunternehmen in Forbes 2000 – der Rangliste der größten Firmen der Welt. First Group steht auf Platz 1932 (Veolia Transport, das etwas größer ist, hat keine eigene Klassifizierung, da es Teil von Veolia Environnement ist). Wal-Mart und Shell müssen nicht fürchten, dass sie ihre Top-Positionen wegen kleinen Transportunternehmen im öffentlichen Verkehr verlieren.

In der Forbes-2000-Liste fehlen die zwei größten öffentlichen Transportunternehmen Europas ganz, da sie in Händen des Staates sind: DB und SNCF. Beide haben einen Umsatz von mehr als 20 Milliarden Euro, davon ungefähr 11 Milliarden im Personenverkehr. Dies bedeutet, dass sie jeweils ungefähr 10 Prozent des europäischen Verkehrsmarktes in Händen halten, welcher wiederum auf 100 Milliarden Euro geschätzt wird. Beide Staatsfirmen versuchen, auch in anderen Ländern und Branchen Fuß zu fassen.

Die DB AG hat im Ausland noch wenig Erfolg im Personenverkehr, ist aber das größte Bus-Transportunternehmen Deutschlands. Die SNCF exportiert ihre Erfahrungen im Hochgeschwindigkeitsverkehr nach Osteuropa und beteiligt sich mit der Tochter Keolis an Ausschreibungen in anderen Ländern.

Chancenreiche Betreiber

Der große Fusions- und Übernahmestrom, der vor zehn Jahren nach Europa kam, kommt aber nur langsam in Gang. In den Niederlanden kann man zwar einen anderen Eindruck gewinnen, da sich bei jeder Ausschreibung nur drei Parteien beteiligen. Der europäische Markt ist jedoch sehr heterogen. Das deutsche Beratungsunternehmen SCI Verkehr versucht etwas Struktur in das Chaos zu bringen. In einer 2007 erscheinenden Studie ermittelt SCI Verkehr die 220 chancenreichsten Betreiber von öffentlichen Personenverkehren in Europa. „Wir gehen in einer Vorauswahl von ungefähr 700 Betreibern aus“, sagt der Verfasser Martin Jacobs. „Aber das sind dann nur die wichtigsten Zug-, Metro-, Bus- und Straßenbahnbetreiber. Insgesamt sind es noch viel mehr.“ Mit „chancenreich“ meint SCI Verkehr nicht nur die reine Größe der Unternehmen, sondern vor allem die auf die Zukunft gerichteten Aktivitäten. Ein großes Unternehmen im Stadtverkehr, welches anderswo jedoch nicht zum Zuge kommt oder will, gilt nicht wirklich als chancenreich in Europa.

Zersplitterung

Hauptgrund für die starke Zersplitterung des europäischen Marktes ist die langsame Liberalisierung des öffentlichen Verkehrs. Eigentlich ist allein der britische Markt wirklich frei zugänglich für Neueinsteiger. Nicht umsonst hat Großbritannien fünf große an der Börse notierte öffentliche Transportunternehmen.

In den meisten europäischen Ländern ist die Mehrheit der öffentlichen Transportunternehmen (noch) in Händen des Staates oder der Kommunen. Dies gilt auch für die Niederlande, wo die drei großen städtischen Transportunternehmen, NS und (jedoch nicht mehr lange) Connexxion Eigentum von Staat oder Stadt sind. In den Niederlanden, aber auch in Frankreich und Deutschland, findet jedoch eine Konsolidierung statt. Ein Staatsunternehmen übernimmt ein anderes, so wie Connexxion die Stadtverkehrsbetreiber GVU und Novio. Finanzunternehmen zeigen ab und zu Interesse, aber alles geht nur sehr langsam voran. Ursache ist, dass dem Staat bei der Zulassung von Wettbewerb und Marktkräften eine Schlüsselrolle zukommt. Staatliche Akteure müssen entscheiden, ob sie Anteile veräußern oder Ausschreibungen vornehmen. Und davor drücken sich noch viele - meistens beeinflusst von der öffentlichen Meinung.

„Sicher stehen die Städte nicht Schlange, um ihre Verkehrsunternehmen zu verkaufen und den Personentransport auszuschreiben“, sagt Martin Jacobs von SCI Verkehr. „Und die neue europäische Verordnung, welche die Verkehrsminister beschlossen haben, gibt Ihnen auch die Möglichkeit, den Verkehr durch eigene Unternehmen ausführen zu lassen und nicht auszuschreiben.“

Zuerst aufkaufen

Es ist schwer für die großen Betreiber, allein über Ausschreibungen Marktanteile zu gewinnen. Nicht nur weil wenige große Konzessionen auf den Markt kommen. Der europäische regionale Schienenverkehrsmarkt wird auf einen Wert von 35 Milliarden Euro geschätzt. Davon kommen im nächsten Jahr im Höchstfall 5 Milliarden auf den Markt – keine 15 Prozent.

Wenn ein Vertrag auf den Markt kommt, ist es oft sehr schwer ein eingesessenes Transportunternehmen zu schlagen. Jedes Land hat seine eigenen Ausschreibungsregeln und seine eigene Ausschreibungskultur. Die einzige Möglichkeit, im Ausland Chancen zu haben und eine Ausschreibung zu gewinnen, besteht darin, einen Betreiber zu kaufen, welcher im Land bereits eine große Konzession hat. So wie Arriva (Vancom, GVB Groningen) und Veolia (BBA, Stadsbus Maastricht) es in den Niederlanden getan haben, wie es aber auch anderswo in Europa häufig geschieht.

In Frankreich scheint es für ausländische Betreiber nahezu unmöglich, Marktanteile zu gewinnen. Britische Unternehmen, die anderswo auf dem Kontinent bereits Fuß gefasst haben, haben in Frankreich keine Chance. „Es gibt in Frankreich offiziell schon Ausschreibungen, aber oft sind die Beschreibungen so verfasst, dass nur eine Partei gewinnen kann: das ansässige Transportunternehmen, welches die besten Kontakte zu den Behörden hat.“, sagt Jacobs.

Der niederländische Europa-Kenner Didier van de Velde (inno-V Berater und TU Delft) sieht dies etwas positiver. „Der französische Markt ist an und für sich offen, aber wenn man in Frankreich eine Ausschreibung gewinnen möchte, muss man sich wie ein Franzose verhalten. Man muss das politische Spiel bei einer Ausschreibung spielen können, gut verhandeln, die Sprache beherrschen, weil eine Ausschreibung nur auf Französisch verfasst wird. Für ausländische Parteien besteht eher eine kulturelle als eine funktionelle Barriere. In Frankreich geht es nicht darum, wer den umfangreichsten Fahrplan anbietet, sondern wer das beste Spiel spielt. Wenn man das kann, ist es nicht unmöglich eine Ausschreibung zu gewinnen. Es sind schließlich bereits schweizerische und spanische Betreiber in Frankreich aktiv.“

Furcht vor der DB AG

In den kommenden Jahren sind die Augen der großen Akteure vor allem auf Deutschland gerichtet. Der größte öffentliche Verkehrsmarkt, mit einem geschätzten Wert von beinahe 20 Milliarden Euro, öffnet sich weiter. Im regionalen Schienenverkehrsmarkt, wo in Deutschland bis jetzt der stärkste Wettbewerb herrscht, verliert die DB-Tochter DB Regio Marktanteile an Neueinsteiger, die mittlerweile 13 Prozent des Marktes in der Hand halten.

Zur gleichen Zeit versucht die DB AG aktiv, selbst neue Marktanteile zu gewinnen. Im Busverkehr ist die DB das größte Unternehmen in Deutschland, außerdem ist sie am Aufkauf von städtischen Verkehrsbetreibern interessiert. Die Aktivitäten im Ausland sind, was den Personenverkehr betrifft, bislang jedoch weniger erfolgreich.

Die britischen und französischen Betreiber sind wegen der Konkurrenz der DB besorgt. Die deutsche Regierung hat verkündet, die DB bis Ende 2009 (teilweise) an die Börse zu bringen, und als börsennotiertes Unternehmen soll die DB kräftig an Auftrieb gewinnen.

Laut Martin Jacobs ist die Furcht gegenüber der DB nicht durchgängig berechtigt. „Die DB AG präsentiert hervorragende Zahlen im Jahresbericht. Die Frage ist aber, wie hart diese sind. In Deutschland wird teilweise vermutet, dass die DB die Zahlen mit Blick auf den Börsengang so schön wie möglich präsentiert.“

Staatsbetriebe

DB und SNCF bleiben laut den deutschen Marktforschern wohl mit Abstand die wichtigsten Akteure in Europa, obwohl sie noch in Staatshänden sind. „Sie haben den Umfang und das Geld, andere Betriebe zu kaufen. Sie können leichter Konzessionen für Schienennetze bekommen, da sie keine Mühen haben, an Rollmaterial zu kommen. Für die börsennotierten Unternehmen, die ein Stück schärfer kalkulieren müssen, sieht das anders aus. Diese können nicht überall teilnehmen, sie müssen sehr spezifisch anbieten. In Deutschland z. B. ist es nicht einfach, regionale Schienennetze zu gewinnen. Sie müssen hier neue Fahrzeuge kaufen, da es in Deutschland keinen großen Markt für gebrauchtes Rollmaterial gibt. Das kann man nicht zu oft machen.“

Sowohl die DB als auch die SNCF schauen auf den mittel- und osteuropäischen Markt. In Westeuropa, wo entweder bereits liberalisiert und der Markt schon in großem Umfang verteilt ist, oder wo der Staat den Markt noch geschlossen hält, gibt es die Erwartung, dass im Osten noch viel zu gewinnen ist. Die DB hat einen Expansionsplan für Osteuropa, die SNCF will dort mit dem TGV und dem Tochterunternehmen Keolis einsteigen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass der europäische Markt auf kurze Zeit viel übersichtlicher wird, ist gering. Hans Rat wagt keine Prognosen mehr. „Der Markt ist noch lange nicht auskristallisiert und die Europäische Union erzwingt nichts mit den momentanen Regelungen. Der Ball liegt bei den dezentralen Behörden. Das Tempo einer weiteren Konsolidierung hängt davon ab, ob diese ihre eigenen Transportunternehmen behalten oder ob sie ausschreiben und an große Unternehmen verkaufen.“

Verkaufsprozedur Conexxion

Kaufinteressenten für Conexxion konnten sich bis zum 20. November 2006 bei Crédit Suisse in London anmelden, der Bank, die den Verkauf des Busbetriebes begleitet. Das Finanzministerium verkauft zwei Drittel des Staatsanteils in einer kontrollierten Versteigerung. In der ersten Phase bieten interessierte Käufer ein Startgebot. Die seriösen Kandidaten kommen weiter. Sie bekommen detaillierte Informationen über die finanzielle Situation bei Conexxion. Der Verkauf von Conexxion wird nicht, wie eigentlich beabsichtigt war, bis Ende des Jahres abgeschlossen sein.

Inzwischen hat Conexxion selber zwei Zukäufe getätigt. Das Unternehmen übernimmt Novio für 12,4 Millionen Euro und GVU für 29 Millionen Euro. Die Gemeinderäte von Nijmegen und Utrecht müssen noch ihre Zustimmung geben.

Quelle: OV Magazine 12/2006, S. 12ff [mehr]

MultiClient Studie:
Markt- und Unternehmensanalyse des öffentlichen Personenverkehrs in Europa [mehr]

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