Schienenkonzern Bombardier setzt auf Straßenbahnen

von Nikolaus Doll

Konzern baut modernste Tram-Werk Europas - Bombardier-Manager: Bei Bahn-Börsengang Netz nicht abspalten

Berlin - Der Schienentechnik-Konzern Bombardier baut das nach eigenen Angaben modernste Werk für Straßenbahnen in Europa. Bombardier investiert rund 30 Mio. Euro in ein neues Werk in Wien, das den bestehenden, nicht mehr erweiterbaren Standort ersetzen wird.

Anfang September ist Spatenstich, vom kommenden Jahr an sollen dort 500 Mitarbeiter Straßen- und Stadtbahnen, die so genannten Light-Rail-Vehicles (LRV), der neuesten Generation entwickeln und bauen. Wien ist für den weltweit führenden Bahntechnik-Konzern nach Bautzen der wichtigste Standort im Geschäft mit Straßenbahnen.

"Wir erleben derzeit eine Renaissance der Straßenbahn", sagt Wolfgang Tölsner, stellvertretender Vorstandsvorsitzender (COO) der Sparte Transportation, die der Konzern von Berlin aus steuert. Der Auftragseingang im vergangenen Jahr sei "mehr als zufriedenstellend". "Der Bestand an Aufträgen, die wir in den Büchern haben, hat eine Reichweite von bis zu drei Jahren und ein Volumen von rund 1,4 Mrd. Euro", so Tölsner.

Bombardier hatte nach Großaufträgen unter anderem aus Krakau und Porto im März den Zuschlag für den Bau von 146 neuer Straßenbahnen für Frankfurt am Main bekommen. Volumen: 300 Mio. Euro. Den größten Auftrag im Straßenbahnbau könnte Bombardier verbuchen, wenn das Geschäft mit den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) tatsächlich zustande kommt.

Der BVG-Aufsichtsrat hat entschieden, bei Bombardier 210 Tramzüge im Wert von 570 Mio. Euro zu ordern, allerdings gibt es Widerspruch durch einen Mitbewerber. Tölsner rechnet damit, daß der Einspruch in wenigen Wochen geklärt sein wird - im Sinne Bombardiers. "Der Berliner Auftrag kann dazu beitragen, ab 2010 auf Jahre die Grundauslastung im Werk Hennigsdorf abzusichern", so Tölsner. In Hennigsdorf bei Berlin, dem größten Produktionsstandort von Bombardier Transportation, war in den vergangenen Jahren immer wieder Personal abgebaut worden.

Das Straßenbahngeschäft hat zwar im vergangenen Jahr zum Gesamtumsatz von rund 5,4 Mrd. Euro bei Transportation nur rund acht Prozent beigetragen - doch die Wachstumsraten dort sind überdurchschnittlich hoch. "Ich gehe für 2006 von einer weiteren Umsatzsteigerung aus und rechne bei Straßenbahnen mit einem Plus von acht Prozent", sagt Tölsner.

Nach Berechnungen des auf Bahntechnik spezialisierten Beratungsunternehmens SCI hat Bombardier einen Anteil von 28 Prozent am weltweiten Marktvolumen bei Straßenbahnen von jeweils rund 1,5 Mrd. Euro in den Jahren 2005/2006 und ist Branchenführer.

Das neue Werk soll Bombardier weiteren Schub geben: "Aufgrund modernster Technik und neuer Verfahren werden wir in Wien die Durchlaufzeiten von zwei bis drei Monaten pro Straßenbahn um bis zu zehn Prozent verkürzen können", kündigt Tölsner an. Größter Absatzmarkt im Straßenbahngeschäft ist Europa, rund zwei Drittel der Wagen gehen dorthin.

Neben südeuropäischen Ländern ist die Nachfrage vor allem in Frankreich und Deutschland groß. Dennoch ist Tölsner gerade mit der Auslastung der deutschen Werke insgesamt unzufrieden. "In Frankreich, Italien oder Spanien laufen die Geschäfte gut. In Deutschland und England haben wir derzeit Probleme, die jeweilige Binnennachfrage ist nicht befriedigend", so der COO.

Für den Fall, daß Bombardier beim aktuell ausgeschriebenen Milliardenauftrag der Deutschen Bahn nicht zum Zug komme, steige vor allem der Druck auf die deutschen Werke: "Wenn wir leer ausgehen, müssen wir uns über eine weitere Restrukturierung ernsthaft Gedanken machen", kündigte Tölsner an. Die Bahn will ihre Regionalzugflotte modernisieren und bis zu 400 neue Züge bestellen - allerdings anstatt bei einem Konsortium nur noch bei einem Hersteller. Beim geplanten Börsengang der Bahn sprach sich Tölsner gegen eine Abtrennung des Netzes aus: "Warum einen Konzern zerlegen, der funktioniert?"

Artikel erschienen am Do, 13. Juli 2006

Quelle: Die Welt, 13. Juli 2006

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